Inklusion braucht Aktion / Apenrade – Berlin – Rom / 28.08 / Jeder braucht für etwas anderes Mut

April 2009: Ich wurde gerade von der Intensivstation in die Frühreha nach Grünheide verlegt und man versucht mich von den schweren Medikamenten runter zu bringen um mit mir arbeiten zu können. Zu der Zeit stand noch fest, dass ich ein Pflegefall bin. Von Schläuchen ernährt, beatmet und ans Bett gefesselt weil ich mich nicht rühren konnte.

Man doktorte an mir rum und schaffte es, dass ich auf der Bettkante saß und erste Versuche startete mich mit einem Sprachaufsatz auf meine Kanüle im Hals zu unterhalten. Seit Monaten könnte ich mich mal wieder verständigen, ein befreiendes Gefühl.

Kaum klappten die ¨ einfachsten Dinge¨ steckte ich mir hohe Ziele. Ich verkündete allen die es wissen wollten, auch allen anderen, dass ich bis zum 12. Mai hier raus bin. Niemand glaubte dran, dass ich bis dahin alleine laufen, essen und atmen kann, ich war mir sicher, zu meinem Geburtstag hier raus zu sein. Es folgte viel Arbeit, worauf ich jetzt nicht näher eingehen will, und ich konnte zu meinem Geburtstag alleine essen und atmen, die Schläuche waren raus. Was ich mir viel einfachen vorstellte war das Laufen, ich lief, aber noch lange nicht gut genug. So drehte ich jeden Tag extra Runden, ich wollte in mein neues Zuhause, Annett hatte uns eine neue Wohnung in Berlin besorgt, wir lebten ja in Ägypten.

Ja, um es kurz zu machen, meinen Geburtstag feierte ich in der REHA und das Laufen ist bis heute eine Schwäche von mir. Trotzdem waren alle erstaunt was ich in der kurzen Zeit alles geschafft hatte. Mir half das wenig, ich wollte nur raus………

Von Zeit zu Zeit, wenn es Dinge gibt die mich interessieren, wo ich aber keins meiner geliebten Fahrräder als Gehhilfe mitnehmen kann, dann ziehe ich zu Fuß los. Ungern, weil ich mich auch sechs Jahre nach meiner OP noch unsicher fühle in Gegenden wo ich nicht jede Stufe kenne, ja das geht schon dahin, dass ich genau weiß wie viele Stufen, wo, welche Gaststätte hat in der ich öfter bin. Heute musste ich den Junior stehen lassen und zu Fuß in ein Gelände wo die Stufen nicht schön genormt sind wie in den meisten öffentlichen Bereichen in Europa.

Der Wasserfall war zu verlockend, als dass ich ihn mir nicht hätte ansehen wollen. Stufen hoch geht immer noch, man schaut auf die Stufen und kann sehen wie hoch sie sind. Runter, sieht das anders aus. Und wenn man wie ich kein räumliches Sehen hat ist es unmöglich einzuschätzen wie hoch oder lang eine Stufe ist. Eine echte Herausforderung. In solchen Situationen ist dann eine Begleitperson oder ein Fahrrad, das man voran schiebt, eine gute Hilfe. Hier gab es die nicht, es musste so gehen. Da wo ein Geländer war war es ok, ich hielt den Verkehr auf aber egal. Wo keins war musste ich tief Luft holen und warten bis jemand überholte. Ich schaute einfach auf seine Füsse und sah wie groß in etwa die Stufen sind. So kommt man auch voran, aber langsam, die anderen sind ja schneller und man muss auf den nächsten warten bei dem man abschauen kann wie die Stufen sind. Gewusst wie, behinderte Menschen entwickeln viele Tricks für den Kampf im täglichen Leben.

So ein Tag schafft mich echt mehr als 120 Kilometer durch die Berge fahren. Ich muss wirklich alles geben, aber ich bin stolz auf mich und froh, dass ich diesen tollen Wasserfall aus Angst nicht angesehen habe. Im letzten Jahr auf der Route 66 Tour habe ich mir durch diese Angst Las Vegas nicht genau angesehen. Schade, aber ich hole das nach, das steht fest.

Der Wasserfall ist ganz toll, verrückt ist, dass er schon 300 Jahre v. Chr. künstlich angelegt wurde. Man leitete damals den Velino über die Felsen in den Nera um, so legte man große Sumpfgebiete trocken um ein vermeintliches Malariagebiet zu vernichten.

Heute wird der Stausee darüber genutzt um Strom zu erzeugen und darum wird der Wasserfall mehrmals täglich in Gang gesetzt, die andere Zeit nutzt man um das Wasser zu sammeln. Hier geht dreimal am Tag eine Sirene an, das ist das Zeichen, dass der Wasserfall in einer halben Stunde angeht. Man zahlt fünf Euro und los. Über verschiedene Wege kann man fast 115 Meter wieder runter, von da bin ich gestern mit dem Rad gekommen, da kriegt mich keiner runter, selbst wenn ich vernünftig laufen könnte. Ich habe die Leute gesehen, die wieder hoch kamen, die sahen nicht wirklich glücklich aus.

Wobei man echt sagen muss, dass es sich lohnt den Weg zu machen, es ist landschaftlich schon ein Highlight. Wenn Annett dabei gewesen wäre dann hätte ich bestimmt auch noch etwas weiter gemacht. Naja, vielleicht bin ich noch einmal hier.

Durch einen Tunnel, der auf etwa 35 Meter unter dem höchsten Punkt liegt, kann man genau bis zur gegenüberliegenden Seite laufen. Man kann von dort den Wasserfall gut sehen, soll aber am besten Regenkleidung mitnehmen. Ich war dort, die Regenkleidung braucht man nicht wirklich wenn man nicht wasserscheu ist, ich bin trotzdem nicht bis zum Schluss gegangen. Die Leute die ich beobachtete standen alle draußen auf einer Art Balkon und bekamen etwas Wasser von oben ab, ein leichter Regen. Schlimmer war, dass sie in einer tiefen Pfütze standen. Da gehe ich nicht raus, ich bin froh, dass meine Schuhe endlich mal richtig trocken sind.

Ich überlegte ob ich noch weiter nach untern gehe und entschied mich dagegen. Das reicht für heute sagte ich mir und hätte mir bestimmt auch auf die Schulter geklopft wenn nicht so viele Menschen da gewesen wären. Der Weg nach oben kam mir viel, viel kürzer vor als der runter. Der Mensch ist ein komisches Wesen.

Zurück am Zeltplatz war ich echt angeschlagen und habe einen Mittagsschlaf gemacht. Solche Touren sind sehr wichtig für mich aber strengen mich auch sehr an. Unglaublich.

Nach dem Mittagsschlaf waren noch ein paar Mails zu beantworten, Berichte zu bearbeiten und schon einiges für den Weg von Ägypten über Israel, die Türkei, Bulgarien nach Mera zu planen. Ich bin mit der Inklusions-Tour noch gar nicht am Ende, wobei das Highlight ja erst noch kommt, der Besuch bei Papa, und bin in Gedanken schon bei meiner Charity Tour nach Mera. Das liegt wohl daran, dass nicht einmal 24 Stunden dazwischen liegen.

Gegen Abend gab es dann von der Chefin vom Zeltplatz noch zwei Stücken Melone, einfach so weil ich da immer saß und mir zwischendurch mal was zu essen oder trinken holte. Nett, die Welt kann so einfach und schön sein. Jeden Tag eine gute Tat ist auch immer mein Motto ……..

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